Das besondere Fossil
November 2009- Ceratites posseckeri [Progenese I] ROTHE
Mit der kleinen und der großen spinosen Morphe „P“, jeweils 5 cm bzw. 40 cm aus dem Liegenden der Gänheim-Bank von
Ettenhausen (Abb. 2a), deutet sich phylogenetisch eine Strategieänderung beim Gehäusewachstum an. Bislang wird das
Dimorphen-Paar der Chronospezies spinosus aus der oberen spinosus-Zone (postspinosus („E“)/ penndorfi („P“) als besonders
großwüchsig beschrieben. Von den Belegen aus Ettenhausen erreichen jedoch lediglich etwa 15% eine Endgröße größer 16 cm,
während ein hoher Prozentsatz typisch spinoser Morphen auf Gehäusegrößen kleiner 12 cm entfällt. Bei ersten Analysen
erbrachten die Parameterwerte (Drängungs-Index; Septenanzahl) der kleinen Individuen die Bestätigung, dass es sich nicht
um „Jugendstadien“ handeln kann. Im Gegensatz dazu verfügten die großen Belegstücke über den schlechtesten Drängungs-Index
mit einer hypothetischen Deutung als „Riesenwuchs“.
Im Chronohorizont der Gänheim-Bank vollzieht sich dann auch der markanteste biologisch basierte Strategiewechsel der
Ceratiten-Phylogenese (REIN 2007). Im Hangendbereich der Gänheim-Bank überleben die Ceratiten angepasst an offenbar grenzwertig
veränderte Lebensbedingungen ausschließlich als kleine frühreife Morphen.
Die Individualentwicklung der bis zur Gänheim-Bank mit kräftigen Einfachrippen (drittes Ontogeniestadium) existierenden
spinosen Morphen (Abb. 2a) wird im Chronohorizont der Gänheim-Bank unvermittelt mit dem ersten Ontogeniestadium
(Gehäuse noch ohne Skulptur) bzw. dem zweiten Ontogeniestadium (Gehäuse mit dichotomer Skulptur) abgeschlossen (Abb. 2b). Das
entspricht einer Vorverlegung der Geschlechtsreife (Progenesis) als Anpassung an bedeutsame ökologische Veränderungen. In der
Phylogenese (Stammesentwicklung) der Biospezies Ceratites nodosus stehen sich Ceratites enodis und Ceratites posseckeri als
„Chronospezies“ (Zeitform) der zweiten dichotomen Phase wieder als deutlich unterscheidbare Dimorphe gegenüber (Abb. 2b).
Auf die Milieuänderungen reagieren als Belege für Ökophänotypen mit Gehäuse-Verkleinerung auch die Terebrateln Coenothyris
vulgaris – Coenothyris cycloides und mit Schalen-Vergrößerung die Muschel Hoernesia vulgaris (Abb.5).
Nach intensiver Geländearbeit kann inzwischen der variable Ceratiten-Anpassungsvorgang detaillierter rekonstruiert werden.
Abb. 2a
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Abb. 2b
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Abb. 3: Die abgebildeten Belegstücke sind gleichfalls wie das „Fossil des Monats“ Zwischenformen der Chronospezies C. posseckeri („P“). Es sind kleine Morphen mit noch unterschiedlicher dichotom/nodoser Wohnkammerskulptur der ersten Progenese-Phase vom Top der Gänheim-Bank bis zum Liegenden der Schellroda-Bank. Sie ähneln in mancher Hinsicht noch juvenilen spinosen Formen wie „muensteri“ oder juvenilen compressus bzw. robustus.
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Abb. 4: Die drei Belegstücke sind Zwischenformen der Chronospezies C. posseckeri („P“) mit unterschiedlich entwickelter Skulpturreduzierung auf der Wohnkammer. Es sind kleine Morphen der ersten Progenese-Phase vom Top der Gänheim-Bank bis zum Liegenden der Schellroda-Bank mit Merkmalen juveniler Individuen aus den Biozonen von compressus, robustus und pulcher.
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Abb. 5: Das Belegstück der Chronospezies C. posseckeri („P“) der ersten Progenese-Phase könnte ohne Kenntnis des Fundhorizontes als juvenile Morphe jeder Biozone zugeordnet werden. Typisch für den Faziesbereich bis zur Schellroda-Bank ist die Vergesellschaftung mit großwüchsigen Hoernesia socialis.
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Abb. 6: Im Chronohorizont der Schellroda-Bank vollzieht sich von der Basis bis zum Top mit dem Übergang zur zweiten Progenese-Phase ein erneuter Morphologiewechsel. Einige Belegstücke der Chronospezies C. posseckeri („P“) direkt aus der Schellroda-Bank mit dichotom skulpturierter Wohnkammer ähneln allerdings noch den Morphen aus dem Liegenden.
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Abb. 7: Weitere Belegstücke der Chronospezies C. posseckeri („P“) direkt aus der Schellroda-Bank zeigen mit unterschiedlich entwickelter Skulpturreduzierung auf der Wohnkammer bereits deutliche Merkmals-Änderungen in Morphologie und Größe. Sie gleichen den Formen der Chronospezies robustus und sind ohne Kenntnis des Fundhorizontes von diesen nicht zu unterscheiden.
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Abb. 8: Die Belege der „P“ Morphen unmittelbar aus dem Hangenden der Schellroda-Bank werden bis zu 20% größer als die „Progenese I“ Morphen. Die dichotome Phragmokon- Skulptur wird wulstiger und der Anteil der Skulpturreduzierung auf der Wohnkammer nimmt kontinuierlich bis zum Chronohorizont der cycloides-Bank zu.
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Literatur:
REIN, S. (2001): Neue Erkenntnisse zur Evolutionsbiologie der germanischen Ceratiten.- Ontogenese, Phylogenese und Dimorphismusverhalten Freiberger Forschungshefte C492, 9: 99 – 120, 5 Abb., 4 Taf., Freiberg.
REIN, S. (2007): Die Evolution der Biospezies „Ceratites nodosus“ – Vom typologischen Art-Konzept zum Biospezies-Konzept.- Beitr. z. Geologie v. Thüringen, N.F.14: 85-112, 23 Abb., Jena