Das besondere Fossil

Mai 2007- Sexualdimorphismus bei Ceratites
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Chronospezies Ceratites posseckeri (“P” ; DPhr = 50 mm, DE = 72 mm) und Ceratites enodis ( “E” ; DPhr = 54 mm, DE = 76 mm) 

Oberer Muschelkalk, Gänheim-Bank + 25 cm (erste Progenese Phase), enodis/posseckeri –Zone Mühlberg

Leg. et det. S. Brandt

Was ist Dimorphismus ?

„Das Nebeneinander von zweierlei durch morphologische Merkmale unterschiedenen Formen bei Artgenossen gleichen Stadiums. Beispiel Sexualdimorphismus = der über die eigentlichen Geschlechtsorgane hinausgehende Unterschied im Erscheinungsbild der beiden Geschlechter“
(Sedlag 1987)

Beschreibung:

Der Nachweis von Sexualdimorphismus bei Ceratites ist das Ergebnis eines langen Erkenntnis-prozesses und keine bloße Behauptung. Die Etappen des Erkenntniszuwachses werden im Folgenden aufgeführt.

Die Ceratiten aus dem stratigraphischen Horizont zwischen Gänheim-Bank und cycloides-Bank sind evolutionsbiologisch die interessantesten Untersuchungsobjekte. Das Offenlegen der frühontogenetischen Unterscheidungs-Merkmale „E“ und „P“ (glatte oder skulpturierte Anfangswindungen) sowie die Deutung der enormen Gehäusegrößenreduzierung als „Neotenie-Stadium“ belegte eine zweigleisige durchgängige Ceratiten-Phylogenese (Rein 1988 a/b).

Damit war die Stammbaumhypothese von Urlichs & Mundlos (1980/1987) widerlegt und die Berechtigung der Aufsplitterung in diverse Untergattungen in Frage gestellt.

Mit der Umbenennung des „Neotenie-Stadiums“ in den faktisch identischen Begriff Progenese-Phase“ als Zeichen ökologisch bedingter Vorverlegung der Geschlechtsreife wurde folgerichtig auf die weitere Bezeichnung mit Untergattungen verzichtet (Rein 1996).

Die Frage nach der verwandtschaftlichen Beziehung der „E“ und „P“ Morphen zueinander war immer noch ungeklärt. Sie wurde auch mit der Analyse des Verhaltensmusters jugendlicher spinoser Ceratiten „armatus“ und „muensteri“ als Dimorphismus oder Zwillingsarten nicht endgültig beantwortet (Rein 1999).

Mit dem Nachweis des Jugendstadiums der Morphe „armatus“ konnte jedoch eindeutig seine von Urlichs & Mundlos (1987) als Stammart der Gattung Acanthoceratites vorgegebene Stellung als Fehldeutung bewiesen werden.

Zwischenzeitlich günstige Aufschlussbedingungen in der enodis/posseckeri-Zone boten die Chance exakt horizontierter Ceratiten-Suche die dem Material von Rein 1988a noch fehlte.

Der stratigraphisch im Zentimeterbereich präzise belegte Morphologiewechsel der Ceratiten zwischen Gänheim-Bank und cycloides-Bank ermöglichte den lückenlosen Nachweis der Anpassung an die wechselnden Umweltverhältnisse. Er erfolgte, durch die Schellroda-Bank getrennt, in zwei Progenese-Phasen (Rein & Ockert 2000).

Das vorgestellte dimorphe Ceratiten-Paar aus dem Hangenden der Gänheim-Bank (+25 cm) weist noch viele Merkmale juveniler spinoser Formen auf. Die kräftigen dichotomen Skulpturelemente des weitnabligen „C. posseckeri“ sind noch nicht wulstig und ähneln „muensteri“, dafür ist die finale Septen-Drängung (0,24) im Ansatz erkennbar. Beim engnabligen und auf der Innenwindung skulpturlosen „C. enodis“ sind es die Lateralfalten mit den Marginalknötchen auf der Wohnkammer die noch an „armatus“ erinnern. Dafür ist die finale Septen-Drängung (0,19) bildhaft ausgebildet. Das dimorphe Paar vermittelt ein Bild der variablen Dimorphen dieser ersten Progenese-Phase. Die allgemein bekannten enodis/posseckeri- Formen der folgenden zweiten Progenese-Phase über der Schellroda-Bank sind durchschnittlich 20% größer.

Alle Ceratiten der ersten Progenese-Phase (Rein & Ockert 2000) – also auch das vorgestellte dimorphe Paar – sind Individuen eines Zeitabschnittes in dem es nach Urlichs im Muschelkalkmeer angeblich keine Ceratiten gab.

Mit den Ceratiten der ersten Progenese-Phase konnte einerseits die von Urlichs 1997 aufgestellte und 1999 von ihm noch erweiterte Hypothese einer Zeit ohne Ceratiten im Muschelkalkmeer widerlegt und die durchgängige dimorphe Ceratiten-Phylogenese eindeutig bestätigt werden.

Die offen gebliebene Frage nach der verwandtschaftlichen Beziehung der Morphen „E“ und „P“ wurde erst mit der populationsstatistischen Analyse der spinosen Ceratiten eindeutig mit dem Sexualverhalten beantwortet (Rein 2003).

Voraussetzung dafür war die Einbeziehung der ontogenetischen Parameter des Phragmokons.

Als objektiver Vergleichswert für das Erreichen der Geschlechtsreife eignet sich der dafür entwickelte Drängungs-Index (vgl. Rein 2003; 2006), ein Quotient der den gemittelten Abstand der drei letzten Septen ohne subjektiven Einfluss fixiert. Er ist unabhängig von der Gehäusegröße und deshalb vergleichbar mit Individuen aller Altersklassen und aller Biozonen.


Die Lobendrängung bei spinosen Ceratiten (bezogen auf den Mittelwert 0,21) als Zeichen der erreichten Geschlechtsreife setzt bei 30% der Morphen „E“ bereits in der Größenklasse 1 (DPhr = 49 mm) ein. Ab Größenklasse 3 (DPhr = 60-69 mm) sind es schon über 50% der Individuen. Dieses Niveau der Individualentwicklung erreichen die Morphen „P“ erst ab Größenklasse 5 (DPhr = 80-89mm). Das ontogenetische Verhaltensmuster der Dimorphen gleicht somit dem Verhalten weiblicher und männlicher Individuen in rezenten Fortpflanzungsgemeinschaften. Die verwendeten Begriffe „E“ und „P“ stehen deshalb bei Ceratiten für Sexual-Dimorphismus.

 

Die Drängungsindex-Werte für das vorgestellte Progenese-Paar (beide Größenklasse 2 und aus der nächsthöheren Biozone!) „C. posseckeri“ (0,24) und „C. enodis“ (0,19) bestätigen die Daten eindrucksvoll.

Die Argumente der in zwanzigjähriger Arbeit mit Ceratiten gewonnenen Erkenntnisse beruhen ausschließlich auf der Auswertung von Belegmaterial und nie auf Behauptungen. Diese Arbeitweise ermöglichte die Korrekturen der Fehlinterpretationen in der Ceratitenforschung der vergangenen 25 Jahre (vgl. Urlichs 1980-1999).

Die neugeschaffene Auslegung des Dimorphismus-Begriffs mit der Urlichs 2006 die Arbeiten von Rein (1988 – 2005) als unsinnig hinstellen möchte ist lediglich eine diskussionsunwürdige Behauptung.

Das Nebeneinander von zwei verschiedenen Morphen bereits im juvenilen Stadium spricht gegen Dimorphismus, da die typischen Dimorphismus-Merkmale erst bei adulten Exemplaren auftreten.“ Urlichs 2006

Als Beitrag zum Verständnis der allgemein üblichen Dimorphismus-Definition ist deshalb auch die Bildleiste unserer neuen Webseite zu deuten.

Literatur:

Rein, S. (1988a): Über die Stellung der Ceratiten (Ammonoidea, Cephalopoda) der enodis/laevigatus -Zone (Oberer Muschelkalk, Unterladin) Thüringens im Stammbaum der germanischen Ceratiten.- Freiberger Forschungsh., C 427, 101-112, 15 Abb., Leipzig.

Rein, S. (1988b): Die Ceratiten der pulcher/robustus-Zone Thüringens.- Veröff. Naturhist. Mus. Schleusingen, 3, 28-38, 2 Taf., 4 Abb., 7 Tab., Schleusingen.

Rein, S. (1996): Zur Phylogenie der germanischen Ceratiten.- Veröff. Naturkundemuseum Erfurt, 15: 15-24, 7 Abb., Erfurt.

Rein, S. (1999): Über Ceratites armatus Phil. und Ceratites münsteri Phil. aus dem Oberen Muschelkalk Thüringens.- Veröff. Naturhist. Mus. Schleusingen, 14: 43-51, 16 Abb., Schleusingen.

Rein, S. & Ockert, W. (2000): Die enodis-/posseckeri –Zone im Oberen Muschelkalk Thüringens – Ausbildung und Fossilführung.- Veröff. Naturkundemuseum Erfurt, 19: 43-67, 16 Abb., 2 Prof., Erfurt.

Rein, S. (2003): Zur Biologie der Ceratiten der spinosus-Zone - Ergebnisse einer Populationsanalyse -; Teil I: Populationsstatistik, Sexual-Dimorphismus und Artkonzept.- Veröff. Naturkundemuseum Erfurt, 22: 43-67, 16 Abb., 2 Prof., Erfurt.

Rein, S. (2006): Zur Biologie der Ceratiten der compressus-Zone - Ergebnisse einer Populationsanalyse.- Veröff. Naturkundemuseum Erfurt, 25: 47-68, 29 Abb., Erfurt.

Sedlag, U. (1987): Biogeographie, Artbildung, Evolution.- Gustav Fischer Verlag Jena

Urlichs, M. & Mundlos, R. (1980): Revision der Ceratiten aus der atavus -Zone (Oberer Muschelkalk, Oberanis) von SW-Deutschland.-Stuttgarter Beitr. Naturk., B; 48: 1-42, 7 Abb., 4 Taf., Stuttgart.

Urlichs, M. & Mundlos, R. (1987): Revision der Gattung Ceratites de Haan 1825 (Ammonoidea, Mitteltrias). I. Stuttgarter Beitr. Naturk., B; 128: 1-36, 16 Abb., Stuttgart.

Urlichs, M. & Mundlos, R.† (1990): Zur Ceratiten-Stratigraphie im Oberen Muschelkalk (Mitteltrias) Nordwürttembergs.- Jh. Ges. Naturkunde Württembergs, 145: 59-74, 2 Abb., 3 Taf., Stuttgart.

Urlichs, M. (1997): Die Gattung Ceratites (Ammonoidea) aus dem Muschelkalk der Provence (Mitteltrias, Südost-Frankreich).- Stuttgarter Beitr. Naturk., B; 252: 12 S., 5 Abb., Stuttgart.

Urlichs, M. (1999): Cephalopoden im Muschelkalk und Lettenkeuper des Germanischen Beckens.- in: Trias – Eine ganz andere Welt.- Verlag Dr. Friedrich Pfeil, 343-354, 19 Abb., München.

Urlichs, M. (2006): Dimorphismus bei Ceratites aus dem Oberen Muschelkalk (Ammonoidea, Mitteltrias) mit Revision einiger Arten.- Stuttg. Beitr. Naturk., B, 363: 1-84, 10 Abb., 3 Tab., 11 Taf., Stuttgart.