Das besondere Fossil

April 2008- Nothosaurus sp. Lebendrekonstruktion
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Nothosaurus sp.
Lebendrekonstruktion

Lebendrekonstruktion eines Nothosauriers mit besonderer Beachtung anatomischer und funktioneller Gesichtspunkte

Kunststoffmodell, Länge 2,40m
Sebastian Brandt, Marco Fischer; 2003 – 2008

In der Rubrik “Fossil des Monats” wurden bisher ausschließlich originale fossile Fundstücke präsentiert. Das „Fossil des Monats April 2008“ zeigt erstmals ein künstlich geschaffenes Objekt.
Das Exponat des Nothosaurus sp. entstand als Summe von Forschung an fossilen Fundstücken, biomechanischen und anatomischen – sowie paläoökologischen Überlegungen. Die Lücken zwischen den Fakten wurden hierbei versuchsweise durch Fantasie und Intuition der verschwundenen einstmaligen Realität angenähert. Dieses Modell steht am Anfang einer Reihe neuer Lebendrekonstruktionen aus dem Muschelkalkmeer die demnächst an dieser Stelle vorgestellt werden sollen.

Einführung:

Basis für eine erfolgreiche Rekonstruktion nachfahrenlos ausgestorbener Tiere sind gut erhaltene fossile Reste. Die Gruppe der Nothosaurier verschwand mit dem Ende der Trias vor etwa 200 Millionen Jahren von der Erde. Isolierte phosphatisch versteinerte Knochen von Nothosauriern gehören zu den regelmäßig gefundenen Fossilien in den kalkigen Meeresablagerungen der mittleren Trias. Diese enthalten bereits einen Teil der Information über die Nothosaurier. Zusammenhängende Skelettelemente, die ausreichende Indizien für die Anatomie und Fortbewegungsweise dieser Tiere liefern können, sind jedoch sehr selten.
Mit dem Vergleich der Ergebnisse statistischer Analysen vielfältiger fossil überlieferter Lebensformen mit Beobachtungen an heutigen Meerestieren ist es uns versuchsweise möglich geworden einen Nothosaurus als Element seines Ökosystems zu rekonstruieren. Das aus fossilen Skelettresten von drei verschiedenen Nothosaurier-Arten zusammengefügte Lebendbild ist das Ergebnis fünfjähriger Arbeit.
Der auf diese Weise entstandene idealisierte Nothosaurier-Bauplan basiert auf Skelettfunden von Nothosaurus marchius, Nothosaurus jagisteus und Ceresiosaurus sp. Obwohl diese Arten in örtlich und zeitlich verschiedenen Lebensräumen existierten, stimmen sie in Lebensweise und ökologischer Bedeutung überein. Ihre gemeinsame Morphologie steht stellvertretend für die erfolgreichste Strategie großer Meeresraubtiere der mittleren Trias. Wir bezeichnen diesen evolutionären Bauplan zusammenfassend als Nothosaurus sp. und legten ihn der vorliegenden Rekonstruktion zu Grunde.





Funktionale Überlegungen:

Bisher spielten bei Lebendrekonstruktionen von Nothosauriern vor allem abstammungsgeschichtliche Überlegungen eine Rolle. Als Reptilien standen den nachfahrenlos ausgestorbenen Nothosauriern deshalb oftmals Echsen, Warane und Krokodile als Vorbilder Pate, obwohl sich deren Baupläne sowohl funktional als auch morphologisch grundlegend von dem der Nothosaurier unterscheiden. Die paläoökologische Problematik vom Verschwinden evolutionärer Ökosysteme und die artenübergreifenden Analogien in ökologischen Nischen wurden bei dieser Betrachtungsweise ebenso wenig berücksichtigt wie die generellen Fremdartigkeit dieser ausgestorbenen Tiere. Durch die Analyse der Skelettreste und Analogien zu rezenten Meerestieren haben wir versucht die Funktionsweise des Nothosaurus sp. zu erschließen. Dabei wurden fünf maßgebliche Erkenntnisse sichtbar:

1.Der stark verfestigte, kastenförmige Rumpf spricht gegen eine axiale Fortbewegung. Vielmehr erscheint er als stromlinienförmiges Widerlager für rudernde Gliedmaßen sinnvoll.
Analogie: Bauplan Pinguin
2.Der Bau der Gliedmaßen unterscheidet sich grundlegend von allen heutigen Reptilien. Sie sind für eine Fortbewegung an Land vollkommen ungeeignet. Der Bau der Vordergliedmaßen unterscheidet sich wiederum grundlegend von dem der Hintergliedmaßen. Die Vordergliedmaßen entsprechen in der Funktionsweise dem heutigen Pinguinflügel. Sie dienen ausschließlich dem schnellen Vortrieb im Wasser. In ihrer Form stellen sie einen hoch spezialisierten Zwischenschritt in der evolutionären Entwicklung der vollkommenen Schwimmpaddel jurassischer Plesiosaurier dar.
3.Die Hinterbeine stehen abgewinkelt vom Körper. Zusammen mit der Schwanzbasis dienen sie zur Steuerung bei der schnellen Schwimmbewegung. Analog dazu könnte man beispielsweise das Leitwerk von Flugzeugen oder von Unterseebooten aufführen. Kleinste Bewegungen leiten den Wasserstrom des Vortriebes um und ändern so die Schwimmrichtung.
Analogie: Bauplan Seeleopard, Pinguin
4.Die gesamte Fortbewegung diente dazu das Reusengebiss des langen flachen Schädels auf der Bahn eines schnell fliehenden Beutefisches zu halten. Die Schwimmrichtung des wendigen Jägers wird dabei bereits vom Kopf eingeleitet und durch Schwanz und Hintergliedmaßen eingeregelt.
5.Der verlängerte Hals und der Schwanz bedingen funktionell einander. Rätselhaft bleibt welchem Zweck diese Wirbelsäulenverlängerung diente. Eine Mischform bei der Fortbewegung aus axialer Schlängelbewegung von Rumpf/Schwanz und ruderndem „Unterwasserflug“ könnte daraus abgeleitet werden.

Biomechanische Detailüberlegungen:

In der klassischen Paläontologie werden Nothosaurier mit seitlich am Kopf liegenden echsenartigen Augen dargestellt. Dies beruht allein auf stammesgeschichtlicher Überlegung im Bezug auf Krokodile und Warane - jedoch ohne Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebensweise dieser ausgestorbenen Tiere. Entgegen dieser Tradition haben wir Nothosaurus sp. mit nach vorn gerichtetem Blick dargestellt. Dies begründen wir einerseits mit der Anatomie des Gesichtsschädels und anderseits mit dem funktionellen Bezug auf seine Lebensweise als schneller, wendiger Unterwasserjäger. (Analogie: Robben)

Das Gebiss des Nothosaurus sp. ist ein vollkommenes Reusengebiss. Die verlängerten Maxiliare bilden einen Fangkorb an der Schnauzenspitze der in einer zwei Phasen Schnappbewegung (Ergreifen – Drehen und Schlucken) einen hochspezialisierten Mechanismus darstellt. Die kleineren Zähne der sehr langen Maulspalte dienen als Widerhaken beim Verschlucken der noch lebendigen Fischbeute. Ein dehnbarer Kehlsack passt sich der Gestalte der Beute beim Schluckvorgang an. (Analogie: Tiefseefische, Gavial)

Die Haut des Nothosaurus sp. zeigt kaum erkennbare Schuppen, wie sie normalerweise für Reptilien vorausgesetzt werden. Hinsichtlich der anatomischen Anpassung des Tieres an den Lebensraum „Unterwasser“, erscheint eine derartige Beschuppung aus strömungstechnischen Gründen fragwürdig. Zugunsten einer homogenen reibungsarmen Körperoberfläche erachten wir die Annahme, dass die Schuppen entweder extrem verkleinert oder reduziert waren, als sinnvoller. (Analogie: Delphin, Hai)

Die Lebendrekonstruktion des Nothosaurus sp. ist ein von Menschenhand geschaffenes Modell eines ausgestorbenen Tieres. Es erhebt somit nicht den Anspruch von Endgültigkeit und alleiniger – naturgemäßer – Richtigkeit. Es zeigt vielmehr die Sichtweise, den begrenzten Erkenntnisstand und das Vorstellungsvermögen unserer Zeit bezüglich solch eines Tieres. Deshalb bleibt jedes Rekonstruktionsmodell ein fragmentarischer Verständnisversuch, ein künstliches Fragment einer verschwundenen Lebewelt. Diese Rekonstruktion wurde erstmals bei der Präparatoren Weltmeisterschaft 2008 in Salzburg der Öffentlichkeit präsentiert.













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Literatur: